Kurz, aber massiv war der letzte Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg auf Minden. Alliierte Bomber warfen am 28. März 1945 Spreng- und Brandbomben mit insgesamt 30 Tonnen Sprengstoff auf Minden ab. Mindestens 180 Menschen starben, viele wurden obdachlos. Am Ende lag der Dom nach einem Volltreffer in Trümmern, das historische Rathaus brannte aus. Die stark getroffenen Häuserzeilen am heutigen Scharn brannten nieder und verschwanden später aus dem Stadtbild. Viele Häuser in der Oberen Altstadt und der Innenstadt wurden zunächst nur notdürftig oder auch gar nicht wiederaufgebaut. Schon bei Angriffen vorher wurde der Mittellandkanal getroffen und lief aus. Das Wasser flutete im Oktober 1944 auch die Luftschutzkeller einer Fabrik, in denen viele Schutzsuchende ertranken. Die Weserbrücke wurde von den sich zurückziehenden deutschen Truppen gesprengt. Eine Schreckensbilanz, die jetzt bei einer Gedenkstunde an den Bombenangriff vor 80 Jahren noch einmal vergegenwärtigt wurde. Auch einige Zeitzeugen waren anwesend.
Rund 80 Gäste hatten sich am historischen Rathaus auf Einladung der Stadt Minden, der evangelischen St. Martinigemeinde und der katholischen Domgemeinde am Freitag, 28. März, versammelt. Bürgermeister Michael Jäcke, vier Schülerinnen des Herder-Gymnasiums, Pfarrer Christoph Ruffer, Dompropst Roland Falkenhahn und Stadtheimatpfleger Jürgen Sturma erinnerten in kurzen Beiträgen an die Ereignisse des 28. März 1945 und die Zeit danach. Regierungspräsidentin Anna Katharina Bölling, die Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden, Nina Pape, der stellvertretende Landrat Siegfried Gutsche und Bürgermeister Michael Jäcke legten gemeinsam drei Kränze am Rathaus nieder. Um 11.25 Uhr, der Zeit des ersten Angriffs, läutete am vergangenen Freitag die Trauerglocke „Frieden Christi“ des Domes.
Gut besucht war die anschließende, öffentliche Andacht im Dom, die von Kantor Peter Wagner mit dissonanten, dröhnenden Klangwolken auf der Orgel eröffnet wurde. Die düsteren und lauten Töne simulierten den Bomberangriff und den anschließenden Einsturz der Haupthalle des Doms innerhalb nur weniger Minuten. Das Dach und das Westwerk brannten am 28. März 1945 aus und die Glocken stürzten ab. Nur Teile der Außenmauer, das Gewölbe des Querhauses und Teile der Vorhalle blieben erhalten. Die barocke Ausstattung des Doms ging fast gänzlich verloren. Das Domkloster und die Propstei brannten bis auf die Grundmauern nieder. Auch Teiles des Domschatzes, die in einem Safe aufbewahrt wurden, nahmen durch die enorme Hitze der Flammen Schaden.
Daran und an einen vorherigen Angriff erinnerte Propst Roland Falkenhahn bei der Gedenkstunde. Schon am 6. Dezember 1944 traf ein Sprengkörper das 1200 Jahre alte Gotteshaus und zerstörte die Nordseite des Chors, die Sakristei und die damals angrenzende Domschatzkammer. Das Chorgewölbe stürzte ein und der Hochaltar wurde schwer beschädigt. Noch am Palmsonntag konnte die Gemeinde einen Gottesdienst im Dom feiern. Am Morgen des 28. März läuteten die Glocken ein letztes Mal. Ostern 1945 lag der Mindener Dom in Trümmern. Fünf Jahre sollte es dauern bis die Glocken wieder erklangen, zwölf Jahre bis der neuaufgebaute Dom wiedergeweiht werden konnte.
„Beim Anblick des zerstörten Doms zerbrach mir mein Herz.“ Das sind die Worte der damals 22-jährigen Ilse Finkeldey. Die Zeitzeugin und Trägerin des Mindener Ehrenringes starb 98-jährig im Juli 2021. An ihre Geschichte und ihr Erlebtes erinnerten vier Schülerinnen des Herder-Gymnasiums in einem Rollenspiel anhand von 2017 entstandenen Comic-Zeichnungen. Die Schülerinnen haben die Szene gemeinsam mit ihrer Lehrerin Stefanie Lehmkuhl erarbeitet. Ilse Finkeldey hat mit ihren Eltern damals in der Innenstadt gewohnt. Auch das Haus fiel den Flammen zum Opfer. „Der Lärm war ohrenbetäubend und ich sah, wie unser Haus getroffen wurde“, so Ilse Finkeldeys Erinnerungen. Ihr Glück war damals, dass sie nach draußen rannte, als der Angriff lief - und nicht in den Keller. Am Ende des Beitrages ziehen die Schülerinnen das Fazit, dass „die junge Generation nicht mehr weiß, wie es ist, in Hass und Hetze zu leben“.
„Die Ereignisse des 28. März fordern uns alle gerade heute und immer wieder zur Achtsamkeit, auch zu einem achtsamen Umgang mit der Kultur unserer Stadt auf, damit Minden eine liebens- und lebenswerte Stadt bleibt“, strich Stadtheimatpfleger Jürgen Sturma heraus. Er forderte zum „Weiterdenken“ auf und erinnerte auch daran, dass nicht nur viele Menschen ihr Leben und ihr Haus am 28. März verloren haben, sondern dass auch wertvolle Objekte der Mindener Kultur und historische Aufzeichnungen für immer verloren gingen. Mit Verweis auf die „Brandnarben“, die bis heute am historischen Rathaus zu sehen sind – der Sandstein hat sich durch die enorme Hitzeentwicklung rötlich gefärbt – rief Sturma ins Gedächtnis, dass nicht nur das Rathaus und der Dom stark zerstört wurden, sondern dass viele Geschäfte und Häuser - auch jüdischer Bürger*innen – seitdem komplett aus dem Stadtbild verschwunden sind.
Der letzte Bombenangriff ereignete sich nur wenige Tag vor der Befreiung Mindens durch alliierte Truppen. Bürgermeister Michael Jäcke stellte deshalb mit Blick auf das Bild, dass sich den Befreier bot, die Frage „Warum das alles?“ in den Raum. Und er lieferte die Antwort gleich mit: „Weil das Nazi-Regime erbitterten Widerstand gegen die alliierten Truppen leistete und nicht aufgeben wollte – und weil es noch bis zum Schluss Befehle gab, wichtige Infrastruktur zu sprengen, um das Vorrücken zu erschweren.“ Fast eine halbe Million Bomben wurden über deutschem Gebiet 1945 abgeworfen, das waren in viereinhalb Monaten mehr als im gesamten Jahr 1943 zusammen, fasste Jäcke zusammen und ergänzte, dass gerade in den letzten Monaten des Krieges - er dauerte insgesamt 2077 Tage - große Schäden angerichtet wurden. Am Tag der Befreiung, dem 8. Mai 1945, als die Waffen endlich schwiegen, waren mehr als 60 Millionen Opfer zu beklagen.
Pfarrer Christoph Ruffer rückte in seinem Beitrag das mitgebrachte Gedenkbuch ins Zentrum, das seit 1956 im Vorraum der St. Martinikirche unter einer Glasplatte ausliegt. Es erinnert 365 Tage im Jahr an die Opfer der Kirchengemeinde aus beiden Weltkriegen, handschriftlich und mit Lebensdaten – soweit bekannt - versehen. Jeden Tag werde eine neue Seite ausgeschlagen – und das seit nunmehr 69 Jahren. Das Gedenkbuch sei ein Buch des „persönlichen und kollektiven Erinnerns – für die Familien, für die Gemeinde und für ganz Minden“.
Oft legen Angehörige Blumen nieder oder zünden Kerzen an, berichtet der Pfarrer. „Manchmal steht hier auch nichts, oft drei bis acht Namen, aber am 28. März ist die Seite voll“, so Ruffer und deutet auf das dicke Gedenkbuch. 87 zivile Opfer sind an diesem Tag verzeichnet. Er erinnert an den jüngsten Toten dieses Tages: Hans Joachim Witthus, der nur ein Jahr und 22 Tage leben durfte. Die älteste war Lina Schmalgemeier, die 80 Jahre und 8 Tage wurde. Hermann Klein, 48 Jahre alt, starb mit seinen drei Kindern, Ursula (15), Karola (11) und Hermann (6 Jahre) bei dem Bombenangriff im Haus. Am schlimmsten traf es Familie Schröder: Mutter Anna und Vater Karl sowie ihre fünf Kinder im Alter von 13 bis eineinhalb Jahren kamen in ihrem Haus Pöttcherstraße 13 bei diesem Bombenangriff um. Schicksale, die für sich sprechen. Die Gäste des Gedenkens schweigen betroffen, als Ruffer das Rednerpult verlässt.