Einen Blick auf Deutschland, die Europäische Union (EU) und die Weltwirtschaft, auf Zusammenhänge, Bündnispartner*innen und gegenseitige Abhängigkeiten warf der Referent des jüngsten Unternehmer*innen-Frühstück der Stadt Minden und der MEW (Mindener Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft). Dr. Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Berliner „Tagesspiegel“, begeisterte die rund 90 Gäste mit vielen Daten und Fakten, aber auch mit einer fundierten Analyse und persönlichen Einschätzung der weltweiten, aktuellen Lage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, der vieles in der „Ordnung der Marktwirtschaft“ durcheinander brachte.
Bürgermeister Michael Jäcke begrüßte die Teilnehmer*innen aus Wirtschaft, Politik, und Bildung im Restaurant „Scarabeo“ und verwies einleitend auf den „andauernden Krisenmodus“, in dem sich Bund, Länder und Kommunen seit 2015 befinden. „Die Herausforderungen sind größer geworden. Der Krieg sowie steigende Energie- und Lebensmittelpreise wirken sich auf uns alle aus“, so Jäcke. Demografie-Effekte und Fachkräftemangel bereiten ebenfalls große Sorgen.
In seinem rund einstündigen Vortrag analysierte Christoph von Marschall die Wirtschaftskraft und Macht Deutschlands im „Gefüge“ der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bündnisse wie EU, UN, G7, G20 und Nato. Einen Blick warf er auch auf das jüngste Treffen der BRICS-Staaten in Südafrika. Das ist eine Vereinigung der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Weitere Staaten sollen zum 1. Januar 2024 beitreten. Sie haben zusammen sehr viele Einwohner*innen, wollen den Weltmächten „an den Karren fahren“, hätten aber derzeit zu wenig Gemeinsamkeiten, so von Marschall wörtlich.
Aktuell stehe die liberale internationale Ordnung zunehmend unter Druck. Vielfältige internationale Krisen, autoritär verfasste Staaten sowie populistische Bewegungen stellten den Westen vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig scheint das Engagement der USA, als Garant der liberalen Weltordnung zu schrumpfen, und auch durch den Brexit veränderten sich die Koordinaten, in denen die deutsche Außen- und Europapolitik bisher agierte.
Als viertgrößte Volkswirtschaft der Erde habe Deutschland nach wie vor Einfluss, als Exportland sei es zugleich besonders abhängig von der Weltlage. Im Verbund der EU, das nach den USA und China den größten Handelsmarkt bildet, nehme Deutschland nach wie vor eine Schlüsselrolle ein, so von Marschalls Einschätzung. Deutschlands Bevölkerung entspricht mit rund 83 Millionen Einwohner*innen rund einem Prozent der Weltbevölkerung (ca. 8 Milliarden Menschen), es verfügt aber über einen weltweiten Wirtschaftsanteil von 4,3 Prozent. „Damit sind wir ein reiches Land. Diese Zahlen verdeutlichen auch, warum es uns so gut geht“, so der Referent.
Viel reicher als Deutschland seien die USA, die mit 4 Prozent Anteil an der Weltbevölkerung 17 bis 18 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft haben. „Die USA sind nicht vom Export abhängig, Deutschland aber in einem großen Maße.“ Größter Handelspartner unseres Landes beim Import ist China. Das verdeutliche die Abhängigkeiten unter anderem in der Industrie, „die wir auch schon in der Corona-Pandemie zu spüren bekommen haben“, so der Chefkorrespondent, der auch in Nachrichtensendungen und Talkshows ein gern gesehener Gast ist.
Deutschlands Einfluss in der Welt sei - nicht zuletzt auf Grund der wirtschaftlichen Stärke – in den letzten Jahren enorm gewachsen. Wie kaum ein anderes Land hat Deutschland als Exportnation von der liberalen Weltordnung, freien Handelswegen und dem Zugang zu neuen Märkten profitiert. Was aber tut die Bundesrepublik, um die Grundlage seines Erfolgsmodells zu erhalten? Zu wenig, meint der Journalist und Autor des Buches „Wir verstehen die Welt nicht mehr. Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden". Die Regierung in Berlin müsse ihre Außenpolitik intensivieren und sich gemeinsam mit den Partnern für die Stärkung der liberalen Weltordnung einsetzen.
Mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges werden die USA von internen Konflikten eingeholt. China sei hoch verschuldet und wachse nicht mehr so stark. „Das Land tut sich mit der Planwirtschaft und jahrzehntelanger Ein-Kind-Politik schwer, die USA ökonomisch zu überholen und selbst zur Weltmacht Nr. 1 zu werden.“ China versuche ärmere Länder wirtschaftlich auszubeuten, was aber nach Auffassung des Experten nicht zielführend sei. „Fairen Kooperationen“ mit Ländern in Afrika und Asien gehöre die Zukunft, meint Christoph von Marschall.
Bürgermeister Michael Jäcke bedankte sich im Anschluss für den „spannenden und aufschlussreichen“ Vortrag . Er lobte von Marschall für seine scharfe Analyse und dafür, „eine Lanze für die Demokratie“ gebrochen zu haben, die das bessere Konzept als die Autokraten dieser Welt biete. Das griff von Marschall auf: „Deutschland ist in vielen Dingen gut und schafft es, Fehler zu kompensieren.“ Der Staat könne aber nicht alles richten. Es liege hier insgesamt „viel Geld auf der hohen Kante“, welches den Unternehmen helfen könne, durch die aktuellen Krisen zu kommen.
In der anschließenden Diskussion ging es um die steigenden Energiepreise und die aktuellen Probleme der chemischen Industrie, um die Einschätzung des Journalisten zu der Frage, ob Putin Atomwaffen einsetzen wird und wie Deutschland handlungsfähig bleibt. Auch auf den US-Wahlkampf ging Amerikaexperte von Marschall auf Nachfrage kurz ein. Seiner Meinung nach brauche es einen jüngeren Kandidaten als Joe Biden für die Demokraten, der zum Zeitpunkt der nächsten Wahl 82 Jahre alt ist. Alter und Fitness des Präsidenten seien das größte Risiko bei der US-Wahl 2024.
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