Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Münster (OVG) schlägt derzeit hohe Wellen in den Rathäusern Nordrhein-Westfalens. Nicht nur die kommunalen Spitzenverbände wie der Deutsche Städtetag und der Städte- und Gemeindebund sondern auch viele Kommunen hat das Urteil auf den Plan gerufen. Die Richter in Münster hatten Mitte Mai 2022 in zweiter Instanz in einem Musterverfahren entschieden, dass nach einer Klage eines Bürgers die Abwassergebührenkalkulation der Stadt Oer-Erkenschwick rechtswidrig ist. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen hat die betroffene Stadt Beschwerde eingelegt, über die das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hat.
Auch in Minden war das Thema Gegenstand in der jüngsten Ratssitzung. Zu Fragen der Stadtverordneten Claudia Herziger-Möhlmann (Bürgerbündnis Minden), die in Zusammenhang mit dem Urteil einen größeren Einnahmeverlust für die Stadt sah, bezog Stadtkämmerer Norbert Kresse Stellung. Die Auswirkungen für die Bürger*innen und die Stadt aus dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des OVG Münster seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar, so Kresse im Rat. Das Urteil sei zudem interpretationsfähig und auslegungsbedürftig, schaffe also aktuell keine Rechtssicherheit. „Wir fordern das Land daher auf, über das Kommunalabgabengesetz (KAG) eine Klarstellung zu erwirken“, so der Stadtkämmerer.
Die Klage des Bürgers aus Oer-Erkenschwick bezog sich auf die angesetzten Zinsen für das Anlagevermögen in der Abwasserrechnung. In der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen 2020 wurde die Klage abgewiesen. In der zweiten Instanz nun bekam der Bürger Recht. Die kommunalen Spitzenverbände und auch viele Städte in NRW sehen mit dem Urteil aber Auswirkungen auf nahezu alle Gebührenberechnungen, weil die konkrete Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen für Anlagevermögen vom Gericht bemängelt und als zu hoch angesetzt bewertet wurden.
Vor diesem Hintergrund hatte Norbert Kresse im Rat am 20. Juni angekündigt, dass die Stadt Minden momentan keine neuen Bescheide verschicken wird. Das lässt sich aber für einige Gebührenhaushalte so nicht länger aufrechterhalten. Der Grund: Sowohl bei den Grundsteuerbescheiden, die nach einem Verkauf eines Hauses/Grundstücks – das sind ca. 1000 pro Jahr – an den neuen Eigentümer versandt werden müssen, als auch bei den Friedhofsgebühren, wo die Angehörigen darauf drängen, einen Abschluss zu finden, lässt sich eine Aussetzung nicht länger realisieren.
Rechtssichere Bescheide verschicken zu wollen, sei das eine, das andere aber „die tägliche Praxis, die uns nun zu einer schnellen Lösung drängt“, so Kresse. Aus diesem Grund habe der Bereich Finanzen in Abstimmung mit dem Bereich Sicherheit, Ordnung und Recht, eine Übergangslösung entwickelt.
Alle Bescheide, die vor einer endgültigen rechtlichen Klärung versendet werden, enthalten ab sofort einen sogenannten „Nachprüfungsvorbehalt“ als Zusatz. Dieser bewirkt, dass die Stadt Minden in allen diesen Fällen bei einer Änderung der Gebührenhöhe auf Grund des oben genannten Urteils nach Eintritt der Rechtskraft von Amts wegen einen entsprechend korrigierten Bescheid ohne Einlegung eines Widerspruchs erlässt und die zu viel gezahlten Beträge erstattet.
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, müssten die Abwassergebühren in Minden voraussichtlich gesenkt werden. Die Stadt Minden berechnet die Abwassergebühren bezogen auf den Frischwasserverbrauch, was eher selten ist. Eine Senkung der Gebühren hätte demnach auch noch rückwirkend auf 2022 Auswirkungen, sowie fortlaufend ab 2023, so Kresse. Die im Februar an alle rund 30.000 Eigentümer*innen verschickten Steuer- und Gebührenbescheide der Stadt Minden gelten bis Ende 2022.
Inwieweit andere Gebührenarten wie Abfall-, Straßenreinigungs-, Friedhofs- oder Rettungsdienstgebühren von dem Urteil betroffen sind, sei weiterhin abzuwarten, so die Städtischen Betriebe Minden (SBM). Von der Stadt Minden beziehungsweise den SBM werden auch die Gebührenbescheide, die diese Gebührenarten betreffen, mit dem entsprechenden „Nachprüfungsvorbehalt“ versehen und entsprechend der genannten Vorgehensweise bei den Abwassergebühren behandelt.
„Die Eigentümer*innen müssen nichts unternehmen. Sollte das Urteil Rechtskraft erlangen, werden die Abwassergebühren für 2022 neu berechnet und erstattet oder mit den Gebühren für das Jahr 2023 verrechnet“, erläutert der Leiter der Kämmerei, Jens Vogt.
Hinweis: Die Pressemitteilung zu dem Urteil des OVG (Aktenzeichen: 9 A 1019/20, I. Instanz: VG Gelsenkirchen 13 K 4705/17) kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/34_220517/index.php