Kabarettpreis „Mindener Stichling 2020“ verliehen - Gala ohne Publikum


Gespenstische Stille herrscht im Stadttheater als der deutsch-afghanische Autor und Poetry-Slammer Sulaiman Masomi die Bühne betritt. Genauso ergeht es eine knappe Stunde später dem Duo „Cocodello“. Kein donnernder Applaus zur Begrüßung, kein Publikum, welches die Sitzreihen füllt. Das war eine einsame Verleihung des Kabarettförderpreises „Mindener Stichling 2020“, die coronabedingt vom November 2020 in den Mai 2021 geschoben wurde – in der Hoffnung vor Publikum spielen zu können.

Die Zuschauer*innen saßen an diesem Freitagabend (21. Mai) an den Endgeräten und verfolgten von zu Hause aus die „Gala“ als Live-Stream. 578 Nutzer*innen zählte Theaterleiterin Andrea Krauledat – quasi mehr als ausverkauft. Denn das Stadttheater fasst insgesamt 540 Zuschauer*innen (mit Stehplätzen).

„Ich war oft geneigt zu klatschen“, gestand Bürgermeister Michael Jäcke am Ende der Gala. Er hatte in einer der beiden Logen Platz genommen und begrüßte von dort aus die Online-Zuschauer*innen. Gegenüber in der anderen Loge saß Moderator Moritz Netenjakob. „Ich bedaure es sehr, dass diese Verleihung coronabedingt nicht vor vollen Reihen stattfinden kann“, sagte Jäcke eingangs. Er blickte aber auch in die nahe Zukunft, in der einiges – auch in der Kultur - wieder möglich sein wird. Die Inzidenzen im Kreis bewegten sich weiter nach unten. „Das macht Hoffnung!“

Kaum eine andere Branche - wie Kunst und Kultur - leide seit mehr als einem Jahr schwer unter dieser Pandemie. „Das wissen wir auch als Stadt und kümmern uns“, kündigte Jäcke an. Unter dem Slogan „Minden zeigt Kultur“ wolle die Stadt den Kulturschaffenden in Minden „Anschub“ geben – mit neuen Kulturformaten, mit Raumangeboten, mit Aktionen und Förderungen. „Uns allen fehlt die Kultur – live auf der Bühne - sehr! Mir persönlich auch“, so der Bürgermeister. Auch er bekommt am Ende keinen Applaus für seine Worte, an die Moritz Netenjakob fließend anknüpft.

Netenjakob beschreibt, gespickt mit persönlichen Anekdoten, wie es sich anfühlt, mehr als ein Jahr als Künstler nicht arbeiten zu können und kein Publikum zu haben - außer der eigenen Ehefrau. Er hält sich in der Corona-Krise mit der Imitation von verschiedenen Künstlern „bei Laune“. Udo Lindenberg, Marcel Reich-Ranicki, Loriot in Person als Opa Hoppenstedt und Gerhard Polt „bevölkern“ seinen Alltag. Er empfiehlt dem Publikum die Sprüche von Udo Lindenberg als „Therapie“. „Hallohallöchen. Keine Panik auf der Titanic. Alles klar auf der Andrea Doria“. Das hebt die Stimmung. Netenjakob fragt sich selbst, ob er nicht ein bisschen verrückt geworden sei - bei so viel Einsamkeit.

Preisträger Sulaiman Masomi greift bei seinem Auftritt eine Wohnungssuche in Köln auf, die mehrfach scheitert. Er weiß: Als freischaffender Künstler eine Wohnung zu bekommen, ist fast unmöglich – da hilft auch kein Angebot „Kunst statt Miete“. Er schlägt Bögen zur Evolution und kommt zu Donald Trump. Er kokettiert mit seiner Herkunft und beschreibt, wie ein afghanisches Familientreffen aussieht, das niemals ohne Übertreibungen auskommt.

Masomi gilt daher im Kreise seiner Lieben als der „wohl berühmteste Autor weltweit“. Widerspruch wird nicht geduldet, muss er erfahren. „Vielleicht bin ich auch überintegriert“, fragt er sich. Er liest aus zwei eigenen Werken. Im „Rat der Sprache“ wird der Untergang des Genetivs verhandelt – sprachlich ausgefeilt und perfekt vorgetragen. Das hätte einen riesigen Applaus verdient. Artig verbeugt er sich vor den Zuschauern - zuhause.

Dass das Publikum fehlt, wird besonders beim Auftritt von „Cocodello“ deutlich. Das Duo bekommt den Preis in der Kategorie „Gruppe“. Sängerin und Schauspielerin Cornelia Schirmer („Coco“) und Musiker Delio Malär (Spitzname „Dello“) erzählen Geschichten, die sich anschließend in ihren Stücken fortsetzen – auf der Bühne unterstützt durch Lorenz Schmidt (Schlagzeug) und Alex Szustak (Bass). „Cocodello“ vermischen in ihrem halbstündigen Auszug Chansons mit Pop oder auch hartem Rock. Die Beiden boten „ein einzigartiges Spektakel aus Komik und Kreativität“. „Das Feuerwerk der Kabarettkunst wird sich auch die Online-Zuschauer*innen begeistert haben“, ist sich Theaterleiterin Andrea Krauledat sicher.

Die beiden einzigen „Zuschauer“ Bürgermeister Michael Jäcke und Moderator Moritz Netenjakob zeigten sich am Ende begeistert. Zum Finale überreichte Jäcke die beiden „gewichtigen Preise“, für die sich Preisträger herzlich bedankten. Rund 2,5 Kilogramm bringt ein „Mindener Stichling“ aus Bronze auf die Waage, der nun zum 14. Mal verliehen wurde. Seit 1994 haben Künstler*innen sowie Gruppen aus der gesamten Bundesrepublik den Kabarettpreis erhalten und nicht selten kurze Zeit darauf den Sprung auf die ganz großen Bühnen geschafft.

Die nationale Auszeichnung wird von der Stadt Minden alle zwei Jahre mit Unterstützung der Sponsoren Sparkasse Minden-Lübbecke und der Unternehmensgruppe Melitta vergeben. Diese stellen das Preisgeld in Höhe von je 4.000 Euro und die schwergewichtige Bronzefigur, die immer am Abend der Gala überreicht wird – nächstes Mal sicher wieder vor Publikum.

Hinweis: Der WDR hat die Preisverleihung am 21. Mai für den Hörfunk aufgezeichnet. Die Zusammenfassung ist am 3. Juni auf WDR 5 von 20.05 Uhr bis 22 Uhr zu hören. 

Pressestelle der Stadt Minden, Susann Lewerenz, Telefon 0571 89204, pressestelle@minden.de