„Verschwörungsmythen sind der Kitt, der unterschiedliche Gruppen zusammenhält“


Die diesjährige Mindener Demokratiekonferenz war für alle Beteiligten etwas Besonderes, denn zum ersten Mal war es eine reine Online-Veranstaltung. „Die Corona-Pandemie machte uns einen Strich durch die Rechnung, also haben wir umgeplant und die Konferenz einfach ins Netz verlegt“, sagt Michael Buhre, der als Moderator durch den Abend geführt hat. Dieser stand ganz im Zeichen von sogenannten Fake Facts. Die Bürgerrechtlerin, Netzaktivistin und studierte Ökonomin Katharina Nocun sprach in ihrem Vortrag über Verschwörungsmythen und wie man damit umgehen kann.

Nocun brachte gemeinsam mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty in diesem Frühjahr das Buch „Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ heraus. „Ein hoch aktuelles Thema“, wie Bürgermeister Michael Jäcke in seiner Begrüßung deutlich machte. „Ich finde es sehr bedenklich zu sehen, wer bei den Protesten gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus‘ miteinander durch die Straßen zieht und Unwahrheiten über das Virus verbreitet – darunter Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Rechtsextreme und ganz normale Menschen von nebenan. Ich stelle mir die Fragen: Was treibt sie an? Was sind ihre Forderungen? Wogegen lehnen sie sich auf?“, so Jäcke weiter.  

Katharina Nocun griff das auf und stellte erst einmal klar, dass sie nicht von Theorien, sondern von Erzählungen oder Mythen spricht. „Theorien kommen aus der Wissenschaft. Dort müssen sie durch valide Ergebnisse bestätigt oder widerlegt werden. Ich möchte Wissenschaft und Mythen nicht auf eine Ebene stellen und spreche daher von Verschwörungserzählungen“, sagte sie. Einige Menschen, die bei Demonstrationen in Berlin und Stuttgart dabei gewesen seien, hätten Wissenslücken in Bezug auf das Coronavirus. Eine Umfrage zeige, dass 17 Prozent der Befragten denken, dass Corona nur ein Schwindel sei und ebenfalls 17 Prozent meinen, dass das Virus menschengemacht sei. Als Konsequenzen daraus werden die Regierungsmaßnahmen ignoriert und nicht befolgt. Verschwörungsmythen sind der Kitt, der ganz unterschiedliche Gruppen zusammenhält, weiß die Expertin.

Die Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen, so Nocun. Die einen glauben, dass durch das Coronavirus die Weltherrschaft übernommen werden soll – zumeist hat das einen antisemitischen Touch, da dieses jüdischen Familien und Förderern zugeschrieben wird. Impfgegner*innen sehen in den Maßnahmen einen Plan, um Massenimpfungen durchzusetzen und wieder andere denken, Corona sei eine Biowaffe aus den USA, Israel oder China. 

Menschen, die in ihrem Leben eine Art von Kontrollverlust erleben, seien häufiger zugänglich für abstruse Ideen. Viele haben das Gefühl während der Pandemie nicht das tun zu können, was sie wollen; sie haben vielleicht aufgrund des Virus‘ den Job verloren und hätten das Gefühl, dass ihnen das eigene Leben entgleitet. Es könne sein, dass eine Verschwörungserzählung ein psychologisches Hilfskonstrukt ist – ein Gefühl, dass es einen Plan und Schuldige gibt, so Nocun. 

Wiederum andere könnten nicht glauben, dass große Sachen kleine bzw. normale Ursachen haben können. Bei ihnen sei das Denken verzerrt, nach dem Motto: „Große Dinge müssen auch große Ursachen haben.“ Identität spiele auch eine Rolle – man will sich von der Masse abheben und bekommt dadurch einen positiven Halt. Verschwörungsmythen verfangen sich ganz besonders bei rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppen. Ein Grund dafür sei, dass sie selbst stark damit agieren und sie Teil der politischen Arbeit sind.

Was kann jede und jeder dagegen tun?
Verändern sich im Freundes- und Bekanntenkreis Menschen, dann sollte man sie ruhig, sachlich und nicht abwertend darauf ansprechen. Fragen stellen und Zuhören können helfen, um den wahren Grund hinter skurrilen Ideen zu erkennen. Manchmal ist Verschwörungsglaube Ausdruck tieferliegender Probleme, so Nocun. Eine andere Strategie sei Aufklärungsarbeit in Schulen zu leisten. Erst wenn Schüler*innen sich selbst eine Verschwörungsidee ausgedacht haben und erkennen wie unwahrscheinlich diese ist, seien sie weniger anfällig dafür. Auch die Politik könne mehr tun, indem Geld für die Ausbildung und Stärkung von Multiplikatoren investiert wird.

Multiplikatoren auf lokaler Ebene anzusprechen, dafür steht die Arbeit von Karl-Heinz Ochs. Er ist der Verantwortliche für die Koordinations- und Fachstelle des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ und blickte im Gespräch mit Michael Buhre, auf das vergangene Jahr zurück. Aufgrund der Pandemie gab es nicht so viele Projekte, wie in den vergangenen Jahren.  

Gut angekommen sind die Mund-Nase-Bedeckungen der „Omas gegen Rechts“ und die Banneraktion „Minden hat keinen Platz für Rassismus“. Die Gruppe „Minden gegen Rechts“ schaffte es gemeinsam mit Verbänden, Vereinen, Politik und zivilgesellschaftlichen Akteuren Tausende zur „Mahnwache gegen den Rechtsruck“ Ende Februar aufzurufen. Im laufenden Jahr soll das Projekt Love-Storm vornehmlich in Schulen den veränderten Bedingungen angepasst und fortgesetzt werden. Hier geht es darum, gegen Hate Speech zu arbeiten. 

Die „Politischen Pastinaken“ aus dem Kinder- und Jugendzentrum Anne Frank sollen unterstützt werden, ebenso ein Graffiti-Projekt des Fördervereins Juxbude e. V. Selbstkritisch merkte Ochs an, dass die Arbeit mit Verbänden und Vereinen noch ausbaufähig sei. Ebenso kann er sich mehr Projekte im Sport vorstellen. Als Dauerbrenner des Lokalen Aktionsplanes stellte er die Korbiniansapfelbäume vor. Die jährliche Fahrt nach Theresienstadt konnte leider nicht gemacht werden, steht aber – wenn es die Umstände zulassen – für 2021 auf dem Plan.

Wer an einer Idee oder einem Projekt für 2021 arbeitet und Unterstützung dafür braucht, kann sich bei Karl-Heinz Ochs melden. Man findet ihn in seinem Büro an der Alten Kirchstraße 1a, 32423 Minden, Tel.: 0571/972076 89 oder per E-Mail an: lap-minden@ewe.net. Seine Sprechzeiten sind in der Regel dienstags und donnerstags von 10 Uhr bis 16 Uhr oder nach Verabredung.

Der Lokale Aktionsplan Minden (LAP) wurde 2011 ins Leben gerufen, um lokale Bündnisse gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu stärken. Seit dem 1. Januar 2015 steht das Motto "Demokratie leben!" in Minden für die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an einer Partnerschaft für Demokratie. In einmal jährlich stattfindenden Demokratiekonferenzen hat jeder im Rahmen des Bundesprogramms die Gelegenheit, über Chancen und Herausforderungen sowie über die künftige Arbeit des Lokalen Aktionsplanes mitzudiskutieren. Die Ergebnisse werden jährlich in das bestehende Handlungskonzept eingearbeitet und vom Rat der Stadt legitimiert.

Pressestelle der Stadt Minden, Katharina Heß, Telefon 0571 89240, pressestelle@minden.de